landLAB Schloss Wiehe e.V.
Auf Exkursionen nach Italien wuchs der Traum, einen Rückzugsort für die Hochschule zu entwickeln, der nicht nur räumlich eine andere Lern- und Lehrsituation darstellt, sondern auch die gewohnte Umgebung aus Seminarräumen und Hörsälen verlässt. Eine Situation, in der der Kopf frei ist für neue Ideen, in der das Miteinander des Teams gelebte Realität sein kann: ein Ort an dem größere Gruppen tagen und übernachten können. Dazu kam die Vision, diesen Ort mit allen Fakultäten der Hochschule gemeinsam zu entwickeln und zu nutzen. Also konkret: es geht um ein Landlabor, ein Tagungs- und Exkursionshaus, das tauglich ist für alle möglichen Nutzungen wie Workshops, Unterbringung von Stipendiaten und Gästen, Sommerfeste, Kompaktseminare und vieles mehr – eine Ideenwerkstatt, aber auch Nutzungen jenseits der Hochschule, als Gruppenhaus.
Aus Italien wurde Thüringen. Die bessere Erreichbarkeit öffnet das Nutzungsspektrum. Gleichzeitig können wir damit einen Beitrag zur Stabilisierung strukturschwacher Regionen und zum Erhalt bedrohter, wertvoller Bausubstanz leisten.
Als Hochschule sehen wir uns in der Pflicht, nicht nur ferne Gedankenschlösser zu entwickeln, sondern auch die Probleme vor der eigenen Haustür anzugehen. Jenseits des konventionellen Studienalltags sollen hier alle Fachrichtungen der Fachhochschule Ihre Stärken einbringen und ein ganzheitliches Ergebnis erzielen können, bei dem sowohl die persönliche Identifikation als auch die Vernetzung mit dem Ort im Vordergrund steht.
Natürlich sollen bei der Umsetzung die entsprechenden Fakultäten praktische Beiträge leisten, planerisch und handwerklich. Als Praktikanten unterstützen Studierende die örtlichen Betriebe auf der Baustelle oder die Gemeinde bei anstehenden Themen.
Die Vereinsgründung
Die Idee entstand in Italien. Historische Gebäude in eindrucksvollen Landschaften wurden gemietet und für Studierende und Professoren zur kreativen Heimstatt auf Zeit. Hier wurde gezeichnet, an Projekten gearbeitet, zusammen gekocht, gegessen und getrunken. Dabei lernte man sich kennen, konnte versponnene Gedanken gemeinsam weiterverfolgen ohne den Notenund Zeitdruck von Stundenplänen, Seminarräumen und Vorlesungssälen.
Dieser Idee ist die Fachhochschule Erfurt einige Schritt näher gekommen. Anfang 2017 wurde der Verein „Landlab Schloss Wiehe e.v.“ gegründet. Auf der Liste der Gründungsmitglieder finden sich unter anderen zahlreiche Professoren der Hochschule, aber auch der Vice-Rektor, die Kanzlerin und die Bürgermeisterin der Stadt Wiehe, der das Schloss gehört. In Wiehe ist man indes begeistert, dass das seit geraumer Zeit leerstehende Schloss auf eine verträgliche Nutzung zusteuert. Die Gemeinde hat sich mittlerweile mit dem Nachbarort zu Rossleben-Wiehe zusammengeschlossen.
Rossleben-Wiehe liegt im strukturschwachen Kyffhäuserkreis, südlich von Artern und ist über die A71 in 40 Minuten von Erfurt (oder Halle) aus zu erreichen. Mit dem Fahrrad allerdings braucht man etwa drei Stunden. Die kleine Stadt leidet unter den üblichen Problemen des ländlichen Raumes und ist froh, mit der Erfurter Hochschule einen kompetenten Partner an der Seite zu haben, der sie nicht nur in Sachen Schloss unterstützen kann. Das Schloss steht indes gut da, die Fenster sind isoliert, das Dach ist dicht, der Keller ist trockengelegt. Statische Probleme wurden nach einem Forschungsprojekt der Bauingenieure der Hochschule aufwendig und für viel Geld behoben. Das Haus verfügt über nutzbare Räume in Keller und Erdgeschoss mit Küche und WCs, allein die beiden Obergeschosse sind im Rohbau-Zustand erstarrt.
In der Endphase wird das Schloss etwa 80 Betten vorhalten, die nur teilweise in 4-Bettzimmern untergebracht sind. Doppel- und Einzelzimmer mit Bad sind der Normalfall. Damit eignen sich die Räumlichkeiten nicht nur für die Nutzungen der Hochschule, sondern auch anderer Veranstalter von Tagungen bis zu Familienfeiern. Ziel ist es auch, andere Hochschulen mit ins Boot zu holen: z.B. Weimar, Jena, Leipzig, Halle, Nordhausen, Göttingen u.a.
In jedem Fall steht das interfakultative Zusammenwirken im Vordergrund: Bachelorstudierende der Architektur erarbeiteten eine solide Basis für die bauliche Gesamtentwicklung, während sich die Master der Landschaftsarchitekten den historischen Park mit seinem wunderbaren alten Baumbestand vornahmen und Wirtschaftsstudierende ein schlüssiges Nutzungskonzept erarbeiteten. Auch für Verkehrsplaner gibt es ein Betätigungsfeld: die Anbindung Wiehes ist, was den öffentlichen Nahverkehr angeht, jedenfalls ausbaubar.
Das Projekt soll in zwei Phasen entwickelt werden:
1. die planerische und handwerkliche Phase, in der das Schloss nutzbar gemacht wird und
2. die Betriebsphase, nach der Fertigstellung
Für die erste Phase wurde bereits der Verein „Landlab Schloss Wiehe e.v.“ gegründet. Für den späteren Betrieb ist eine GmbH geplant mit überwiegend gemeinnützigen Zielen.
Ein Leihgaben-Forum für geerbte, antike Möbel, für die derzeit kein Platz zu Hause besteht, wurde ins Leben gerufen. Aus privaten Leihgaben konnten wir zwei Salons stilgerecht möblieren und im Speisesaal einen Konzertflügel aufstellen. Die Familie von Werthern-Wiehe, der einst das Schloss gehörte, unterstützt das Projekt und hat sich bereit erklärt, nach der Fertigstellung den eingelagerten Fundus an Original-Möbeln zur Verfügung zu stellen.
Der Verein unter Vorsitz der Professoren Jutta Bechthold und Joachim Deckert hat sich einiges vorgenommen. Bereits im April 2017 fand ein Clearing-out-Workshop statt, bei dem Tuchfühlung mit den Räumlichkeiten aufgenommen wurde und Ordnung im Schloss geschaffen wurde. Diese Aktion führte zur Befüllung von zwei Schuttcontainern. Sie wurde von 20 Studierenden und Lehrenden der Hochschule durchgeführt und von der Stadt Wiehe unterstützt.
Vom Verein wurden 20 Feldbetten und zwei Duschkabinen angeschafft und installiert, damit derartige Aktionen überhaupt möglich sind und schon in der Bauphase im Schloss übernachtet werden kann.
Unterdessen hat sich das Schloss und der Park bereits als Tagungsort bewiesen: die Professoren der Architektur, der Landschaftsarchitektur und der Hochschulleitung tagten hier wiederholt und erfolgreich. Ebenso arbeiteten hier verschiedene international Summerschools und Exkursionsteilnehmer.
Bereits drei Mal organisierten wir ein Schlossparkpicknick, in dem der Öffentlichkeit die Veränderungen im Schloss vorgestellt wurden und die planenden Studierenden in den Austausch mit den Einheimischen treten konnten.
Die Gründung
2017 wurde u.a. von Mitgliedern der Steuergruppe der Verein LANDLAB SCHLOSS WIEHE E.V. gegründet. Vorsitzende sind Prof. em. Jockel Deckert und Prof. em. Jutta Bechthold, Die Rolle des Schatzmeisters hat Prof. Dr. Henning von Brandis übernommen.
Der Verein hat mittlerweile über 60 Mitglieder aus dem In- und Ausland, darunter viele begeisterte Absolventen unserer Hochschule, aber auch Freunde und Leute, die einfach die Idee so großartig finden wie wir.
Mitglied werden kann man mit dem Formular auf der Homepage des Vereins. Der Beitrag ist jährlich fällig. Ermäßigung gibt’s für Studierende.
LANDLAB SCHLOSS WIEHE E.V. versteht sich als Projekt der Fachhochschule Erfurt und arbeitet in Kooperation mit der Gemeinde Rossleben-Wiehe und dem örtlichen Förderverein Schloss Wiehe e.V..
Der Verein wird sich in einer ersten Phase für die Herstellung der vollen Nutzbarkeit des Schlosses einsetzen. Für die folgende Phase, die Nutzung des Hauses für Hochschul- und private Veranstaltungen (z.B. Familienfeiern) wird es nötig sein, eine eigene Gesellschaft zu gründen, die ggf. ebenso gemeinnützig wirtschaften wird.
Mehrere Klausurtagungen der Professoren verschiedener Fakultäten und der Hochschulleitung wurden im Schloss abgehalten. Ebenso wurden Zeichen- und andere Exkursionen veranstaltet. Die international Summerschool befasste sich mit dem Projekt.
Masterstudierende der Wirtschaftswissenschaften erarbeiteten den Businessplan, aus dem hervorging, dass eine ausschließliche Hochschulnutzung unrealistisch ist. Konzepte für die Parkgestaltung wurden von Landschaftsarchitektur-Studierenden erarbeitet (Prof. Johannes Schwarzkopf) und im Schloss präsentiert. Konzepte für die künftige Nutzung des Inspektorenhauses liegen vor.
Die Entwicklung
Mit der ersten Kontaktaufnahme zur IBA (Internationale Bauausstellung Thüringen), zu Gemeinden und Vereinen stellte sich schnell ein großes Interesse an dem Projekt landLAB ein. Bald lagen über 20 Angebote vor – auch aus dem Kreis der IBA-Projektanträge. Das Planungsteam der Studierenden eruierte zunächst den Bedarf des landLAB, die Anforderungen an das Gebäude. Unter Einbeziehung der verschiedenen Kriterien an Raumprogramm, Umgebung und Erreichbarkeit wurden in einem ersten Seminar unter Leitung von Prof. Faulstich und Prof. Deckert die Objekte auf ihre Eignung untersucht.
Dabei kristallisierten sich zwei sehr unterschiedliche Favoriten heraus: das Untergut in Kammerforst und Schloss Wiehe. Lediglich was die Erreichbarkeit angeht, liegen beide Objekte etwa gleich. Während das Untergut viel zu klein erscheint und ein begrenztes Grundstück hat, birgt das Schloss viel zu viel Platz und einen Riesen-Park mit Teich und altem Baumbestand.
Im nächsten Schritt wurden diese beiden Projekte von einer Gruppe Studierenden in ihrer Bachelor Thesis planerisch bearbeitet. Die Ergebnisse, die mit geschätzten (Um-) Baukosten vorliegen, waren glücklicher Weise sehr vielfältig, sodass ein breites Variantenspektrum erfasst wurde. Die Konzepte sollten nun die Entscheidungsfindung herbeiführen. Indes fingen die Gemeinden an, um unsere Gunst zu buhlen. An beiden Standorten wurden Informationsveranstaltungen bzw. Ausstellungen durchgeführt.
Schließlich entschied sich die Steuerungsgruppe nach ausgiebiger Diskussion dafür, mit der Stadt Wiehe wegen des Schlosses weitere Gespräche zu führen. Zwar können hier die zu erwartenden Gesamtkosten höher ausfallen als beim Untergut, überzeugend war allerdings die Tatsache, dass die Stadt Eigentümerin bleibt und die nötigen Maßnahmen sukzessive in kleinen Schritten realisierbar sind, während wir das Untergut hätten kaufen müssen und sofort die komplette Sanierung angefallen wäre. Schloss Wiehe wird also als Sitz des landLABORs der Fachhochschule weiterverfolgt.
Die Initiatoren
Initiiert wurde das landLAB von Prof. Deckert, Fakultät Architektur und Stadtplanung. Weitergetragen wird die Idee durch die Steuerungsgruppe, der Christiane Gottwald, Claudia Hille, Stefan Landwehr, Kerstin Schnelle und Jockel Deckert angehörten.
"Clearing Out" – Ein Workshop
„Clearing Out“ hieß der Workshop, bei dem 20 Architekturstudierende Hand anlegten, zwei Container mit Bauschutt beluden und Konzepte für künftige Events und Nutzungsmöglichkeiten entwickelten. Drei Tage war das Schloss belebt, ermöglicht durch zwei neue Duschen und 20 Feldbetten, die aus Mitteln des Vereins angeschafft wurden.
Nächste Schritte
Nächste Schritte sind die Beantragung der für die Fertigstellung nach dem Gesamtkonzept erforderlichen Fördermittel durch die Gemeinde. Dabei beinhaltet der erste Bauabschnitt die Fertigstellung des Ostflügels, damit eine schrittweise Nutzung ermöglicht wird. Dazu wurde das repräsentative Haupt-Treppenhaus und das „Maurische Zimmer“ saniert. Es folgen die Flure im Ostflügel, die die Musterzimmer und die Salons erschließen.
Forum Leihgabe
Für die Erzeugung einer adäquaten Atmosphäre sind Möbel nötig. Dazu wurde ein Forum „Leihgabe“ eingerichtet. Bei diesem Projekt können längerfristig antike Möbel als Leihgabe dem Schloss zur Verfügung gestellt werden. Dabei geht es um Gegenstände, die man geerbt hat, von denen man sich nicht trennen möchte, aber keinen Platz dafür hat. Diese können im Schloss geparkt werden. Erste Antiquitäten wurden bereits geliefert, darunter ein Flügel für den Hochzeitssaal, ein Speisezimmer, Wohnmöbel und historische Kupferstiche. Auch die Familie der einstigen adligen Eigentümer hat authentische Leihgaben in Aussicht gestellt. Ein Kuratorium beurteilt die Möbel auf ihre Tauglichkeit. Im Rahmen dieses Forums konnten wir im 1. OG zwei Salons komplett antik einrichten.
Die Musterzimmer
Ziel ist es, mit Studierenden der Architektur während der Bachelor-Thesis jährlich mindestens ein Zimmer zu realisieren. In einer ersten Phase entwickeln die Teilnehmenden dabei individuelle Konzepte aus denen gemeinsam der zu realisierende Entwurf ausgewählt wird. Die nächste Phase beinhaltet die baureife Ausführungsplanung, die gemeinsam erarbeitet wird. Dazu gehört eine dezidierte Kostenschätzung, Bauablaufplanung, das Sponsoring, die Festlegung sämtlicher Materialien und Produkte, Elektro-, Sanitär- und Möbelplanung sowie ein Licht- und Farbkonzept. Anschließend beziehen die Studierenden für zwei Monate Quartier im Schloss bis zur Fertigstellung des Musterzimmers. Dieses wird zum Kolloquium quasi schlüsselfertig übergeben. Dabei sind die Betten bezogen und Handtücher liegen im Bad bereit. Um den Praxisbezug und den Kontakt zur Gemeinde zu institutionalisieren kooperieren wir mit örtlichen Firmen und erteilten einem heimischen Handwerksmeister und Stadtratsmitglied einen Lehrauftrag zur Betreuung der Studierenden vor Ort.
2017 konnte das erste Musterzimmer eingeweiht werden. Drei Architekturstudierende waren involviert. Sie wurden tatkräftigen von freiwilligen Kommilitonen unterstützt. Zahlreiche Sponsoren ermöglichten mit Materialspenden die Umsetzung. Das Ergebnis kann sich sehen lassen und wird heiß diskutiert, weil es eben kein ganz normales Zimmer geworden ist. In einem langgestreckten weißen Sideboard ist das Bett eingelassen, Schübe für das Gepäck, Daneben steht wie eine Schale das Waschbecken. Unter Klappen verbergen sich Dusche und WC. Funktionstüchtig, versteht sich. Die ersten Gäste durften hier bereits übernachten. Dabei stellte sich die Frage: wieviel Intimität braucht ein Einzelzimmer, wieviel Scham empfindet man vor sich selbst?
Elf angehende Architekt*innen realisierten 2018 das zweite Musterzimmer, das aus zwei Zimmern mit Platz für fünf Personen besteht. Kernidee ist das Himmelbett. Hier allerdings aus filigranen Stahlprofilen, die hinterleuchtet werden. Das Motiv zieht sich als roter Faden durch alle Räume, ob Duschkabine oder Garderobe. Auf diese Weise entstand ein innovatives Lichtkonzept, das die Räume verblüffend angenehm in Szene setzt.
Sieben scheint eine Bearbeiter:innenzahl zu sein, die sich gut eignet, um ein solches Projekt effektiv umzusetzen. 2019 war eine entsprechende Gruppe mit dem dritten Musterzimmer befasst. Dieses Konzept stellt eine Lösung dar, die die Außenwand derart in den Raum hinein aufdoppelt, dass in den Zwischenraum Dusche, WC sowie Schrank und Waschbecken passen. Dadurch entstand ein tiefer Alkoven, der bei geöffneten Schrank- und WC-Türen als tagesbelichtete Ankleide fungiert und gleichzeitig den Schlafbereich wie mit Klappläden verdunkelt. In strahlendem Weiß hebt sich der Einbau vom Beige der neuen und alten Lehmwände ab.
2020 erhielt das Projekt "Musterzimmer" im Landlab Schloss Wiehe eine Nominierung beim begehrten AIT-Award in der Kategorie "Newcomer". Ferner hat uns die Sto-Stiftung beim Summerschool Wettbewerb mit einem Preisgeld in Höhe von 12000,00 € bedacht, von dem weitere Musterzimmer finanziert werden können.